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Helga König im Gespräch mit Inge Huber (Jeanne B.Barondeau), Curnonsky-Biografin

Liebe Frau Huber anlässlich  Ihrer neuen Publikation "CUR NON... BIBENDUM ou Du Pneu Michelin au Guide Gastronomique?" über den berühmtesten Gastrokritiker und Gastronom Frankreichs Curnonsky möchte ich Sie und Ihr diesbezüglich umfangreiches Engagement den Lesern von "Buch, Kultur und Lifestyle" vorstellen.

Helga König:  Sie haben den Nachlass des berühmten, französischen Gastronomie-Kritikers Curnonsky vor 10 Jahren erworben. Wie kam es dazu ? 

 Inge Huber (Jeanne B. Barondeau)
Inge Huber: Vor etwa zehn Jahren gestaltete ich Gärten und kaufte Vasen und Steinobjekte, um die Renaissancegärten damit auszustatten. In Paris erwarb ich damals einige Objekte aus der Sammlung eines alten Herrn, der mir im Zuge dessen auch seine umfangreiche Bibliothek anbot, die, wie er mir sagte größtenteils aus Fachbüchern über Kunstgeschichte und Sammlungsbänden bestünde. Er wüsste seine bibliophilen Schätze gerne in meiner Obhut, außerdem wären unter seinen Beständen interessante Dokumente und Schriften, die zu vollenden wären… Ja, sagte er damals mit sicherer Stimme, « Sie sind es, Sie werden mein Werk vollenden, ich spüre das » - Ich verstand nicht, was er meinte, war aber fasziniert von dieser charismatischen Persönlichkeit. Ich fuhr des Öfteren nach Paris, um meinen Kofferraum mit ausgewählten Büchern zu füllen. Längst hatte ich die Wertigkeit dieser Sammlung erkannt und übernahm schließlich die gesamte Bibliothèque von ca. 3000 Bänden. Nichtsahnend auch die schäbigen Pappkartons, die den Nachlass von « Curnonsky » enthielten. 

Helga König:  Waren an den Kauf Auflagen gebunden und weshalb hat sich kein französisches Gastronomie-Museum oder ein anderes Museum damals für den Nachlass
interessiert ?  

Inge Huber: Es gab weder ein Gastronomie-Museum noch wusste jemand von diesem Schatz, der mehr als ein halbes Jahrhundert als verschollen galt. Der Besitzer dieser Bibliothek war 1955 Sekretär von Curnonsky. Er hatte den Nachlass geerbt. Die mit der Schenkung von Curnonsky verbundene Auflage, nämlich sein gastronomisches Erbe einem Museum einzuverleiben, war ihm nicht gelungen. Das war es offensichtlich, was er bei unserer ersten und letzten Begegnung andeutete mit "mein Werk zu vollenden", vielleicht hat ihn zu später Stunde sein Gewissen belastet.

Helga König: Welche Zwecke verfolgten Sie beim damaligen Kauf mit diesem Nachlass, war der primäre Anlass des Kaufs, der Wunsche ein Buch über Curnonsky zu schreiben ?

CUR NON... BIBENDUM 
Inge Huber: Der primäre Anlass war diese einzigartige Bibliotheque, sie war komplett auf meine Interessensgebiete abgestimmt. Kunstbücher und Folianten über Italien, Pompei, Bildhauerei, Keramik, Malerei, die ganze Palette der bildenden Künste. Bisher hatte mich Gastronomie nur am Rande interessiert, so wusste ich bis dato nichts von Curnonsky. Diese fasettenreiche Lichtgestalt der Belle Époque hat mich sofort begeistert, sein Lebenswerk oder nennen wir es „Lifestyle“ hat sich mir blitzschnell offenbart und den Entschluss zu einem Buch rasant beschleunigt. Mangels eines Verlegers habe ich mit großem Schwung gleich drei Bände der "L’Héritage de Curnonsky", "Edition Musée", selbst verlegt und mit Jeanne B. Barondeau signiert. Dabei dachte ich schon an eine eventuelle Ausstellung. Es ist die Zusammenfassung von Originaltexten vieler Chroniken und Artikel kulinarischer Themen, die Curnonsky über Jahre in Zeitungen oder Gazetten veröffentlicht hatte, und eine bildreiche Beschreibung seines gastronomischen Wirkens.

Helga König:  Drei Bände der „L’Heritage de Curnonsky“ waren verlegt – wie ging es weiter?

Inge Huber:  Während des Schreibens gab es Zeiten des Zweifelns, die mir aber immer wieder von Hans Haas vertrieben wurden. Oftmals besuchte ich ihn spätabends im Tantris und wir tranken ein Glas Champagner und blätterten in meinen Dossiers - "Machen Sie weiter Frau Huber, die Franzosen werden ihnen noch den roten Teppich auslegen!". Einmal rief er um Mitternacht seinen Freund Marc Heaberlin in Illhaeusern an "Du glaubst nicht was ich hier vor mir liegen habe, eine Sensation!- Du kennst doch den Curnonsky…!“ (Haeberlin war begeistert und schreibt das Vorwort für das Buch.

Dr. Hubert Burda räumte meine letzten Zweifel kurz vor der Buchmesse 2007 aus. Als er meinen Dammi durchblätterte, riet er mir "Das ist eine großartige Sache, Sie müssen damit nach Frankfurt zur Buchmesse. Ich werde Sie dabei so gut ich kann unterstützen! - Vielleicht berichten wir etwas in einer unserer Zeitungen…" Diese Buchmesse entpuppte sich als das grässlichste Erlebnis meines Daseins. Ich nannte es: "Der schwere Gang nach Canossa" und möchte mich in Einzelheiten nicht mehr darüber äußern. Noch im Zug auf der Rückfahrt entschloss ich mich für den Eigenverlag. Ein unbeschreiblicher Moment, nach vielen Jahren Arbeit das fertige Werk in den Händen zu halten. Dr. Burda hielt Wort, es erschien als großartig aufgemachter Taktgeber die erste Berichterstattung in "Wohnen Träume", kurz darauf ein grandioser Artikel in "Apero"(Witzigmann); es folgten "Kir Royal", und  "Foodhunter". 
Hans Haas kochte im Tantris eine wunderbare "Bouillabaise à la Curnonsky" und ich danke ihm noch heute für seine Unterstützung…

Helga König: Was geschah, nachdem Ihr erstes deutsches Curnonsky –Buch 2010 (Collection Rolf Heyne) auf den Markt kam, wie reagierte die Presse ? 

 CURNONSKY
Inge Huber: Die deutsche, österreichische und schweizerische Presse hatte mit Begeisterung viele großartige und umfangreiche Artikel über das Buch "CURNONSKY, oder das Geheimnis des Maurice-Edmond Sailland", geschrieben. Ein Film in 3Sat, Rundfunksender in mehreren Ländern haben über die Biographie von Curnonsky berichtet. Ein Gourmet, ein Lebemann, der Gastro-Kritiker der mit « Bibendum » signierte, das waren die Schlagzeilen. Siebeck schrieb:  "Er gehörte zur Journaille, wurde Prinz genannt und wie ein König verehrt." (http://www.zeit.de/2010/19/Siebeck-Feinschmecker)  Die französische Presse schwieg, obwohl ich in Paris zweimal (2008 und 2010) den Gourmand Cookbook Award bekam. ("Ein Fest für den Leser", so die Jury) 

Helga König: Können Sie im Zusammenhang mit Curnonsky etwas über das Reifenmännchen "Bibendum" berichten? 

 CURNONSKY
Inge Huber: Es gibt zu der Entstehungsgeschichte des Maskottchens „Bibendum“ zwei völlig kontroverse Darstellungen und Behauptungen. Einmal ist da die neueste Firmenchronik von Michelin: "100 Jahre Bibendum", die Curnonsky als Mitarbeiter nicht erwähnt. Zum Zweiten decken sich die Memoiren von Curnonsky nicht mit der Darstellung der Michelins. Curnonsky erinnert in seinem Buch (Souvenirs Littéraires et Gastronomiques) ... "ich spreche natürlich von einer Zeit vor mehr als sechzig Jahren, damals als ich noch missachtet wurde, war ich es, der mit Bibendum signierte... Curnonsky versichert dort auch, dass die berühmten Werbe-Sätze vom Reifen Michelin aus seiner Feder stammen. 
1. "Le Pneu qui boit l’obsacle" (Der Reifen schluckt die Nägel) 
2. "Il y a quarante immortels, mais un seul increvable:le pneu X" (Es gibt vierzig Unsterbliche, aber nur einen Unvergesslichen, den Reifen X.) 
Das waren damals die durschlagenden Wortschöpfungen, die auf den Plakaten standen und dem Luft- Reifen zum großen Erfolg verhalfen. Zeitgenossen erinnern, Curnonsky war der Namensgeber für „Bibendum“, nachdem das Maskottchen von O’Galop zeichnerisch dargestellt war. Unzählige Briefe und Belege hierzu befanden sich im Nachlass von Curnonsky und Vieles habe ich nachträglich in aufwendigen Suchaktionen dazu erworben. 

Helga König: Wie reagierte Michelin überhaupt, haben Sie versucht mit Michelin gemeinsam eine Ausstellung zu Curnonsky zu realisieren? 

 Curnonsky
Inge Huber: Erst nachdem ich die Firmengeschichte Michelin gründlich studiert  hatte, wagte ich Anfang 2008 meine Erkenntnisse der Reifenfirma in Karlsruhe mitzuteilen. Ich bot die neu entdeckte "Collection Curnonsky" als Ausstellung im Firmensitz Clermont Ferrand an. Umgehend besuchte mich ein Michelin-Mitarbeiter in München, um sich von der Glaubwürdigkeit meiner Unterlagen bezüglich einer Ausstellung in Frankreich zu überzeugen. Nachdem er alle Unterlagen von Bibendum und Curnonsky abgelichtet hatte, versprach er mir, sich im Rahmen seiner Möglichkeiten zu engagieren, aber "letztendlich entscheiden die Kollegen in Paris". Im Gegenzug besuchte ich das Firmenarchiv in Clermont Ferrand und stellte enttäuscht fest, dass in diesen heiligen Hallen von Curnonsky nichts verwahrt wurde. In einem der Alben "Lundis de Michelin" fehlte der wöchentliche Artikel "631 aus dem Jahre 1913". Diesen Artikel "Bon Blague" hatte Curnonsky gegen alle Absprachen und einmalig mit Curnonsky signiert. Wochen später teilte man mir offiziell u. a. mit, dass Curnonsky wie viele andere auch auf Anfrage der Michelins einige Chroniken schrieb... 

Helga König: Worum geht es überhaupt in Ihrer neuen Publikation „CUR NON... BIBENDUM ou Du Pneu Michelin au Guide Gastronomique" und warum überhaupt ein ebook? 

Inge Huber: Es geht darin in erster Linie um eine lückenlose und vollständige Biographie von Curnonsky. Eingebunden in dieses Buch habe ich seine "Mémoirs secrets" – die geheimen Erinnerungen, viele persönliche Erlebnisse und Wahrheiten unter dem Siegel der Verschwiegenheit unterschiedlich signiert. Noch heute, wenn ich diese Briefe lese, berühren mich seine verzweifelten und letztlich gescheiterten Versuche der Rentenbehörde zu erklären, als Maurice-Edmond Sailland geboren, als Schriftsteller und Journalist mit Pseudonym signiert zu haben und seit Jahrzehnten "Curnonsky", "Prinz der Gastronomen" zu heißen. Curnonsky schrieb in dieser Époche nicht nur für die Michelin als "Literatur-Nègre" (Ghostwriter). Er schrieb auch für die Literaturfabrik "Willy" - Er signierte zeitweise mit mindestens 10 Pseudonymen. Dies war und ist zu allen Zeiten ein Streitpunkt bezüglich der Autorenrechte. Für die Michelins, die in großem Maße von seiner einzigartigen Kreativität profitiert haben, wäre es damals ein Klacks gewesen sich seiner Verdienste zu erinnern und dies auch bei den Behörden zu bestätigen. Dieses neue ebook "CUR NON... BIBENDUM ou Du Pneu Michelin au Guide Gastronomique?" ist quasi ein Nachschlag zu meinen vorherigen Büchern. In meinem Buch "Curnonsky, souvenirs gastronomiques..." habe ich dieses Thema bereits ausführlich bearbeitet. Hier versuche ich mit neuen Fakten und Originalbelegen den Zusammenhang zwischen Curnonsky und Bibendum, dem Michelin Reifen und dem Guide Michelin nochmals zu erhärten, denn viele der Leser erkennen nicht den Zusammenhang von Autoreifen und Gastronomie. Von Bibendum und Curnonsky. 

Das  ebook ist eine Notlösung, sollte sich für eine Printausgabe ein Verleger finden, wäre es wünschenswert. 

Helga König: Weshalb haben Sie den Text in Französisch und nicht in Deutsch verfasst?

Inge Huber:  Ich hatte bei meinen ersten Büchern die Absicht, die Vielfalt der Arbeiten, die Chroniken und journalistischen Artikel möglichst originalgetreu zusammenzutragen. Ich habe Curnonsky’s Original-Texte neu verlegt und somit sein Gastronomisches Werk und Wirken der Vergessenheit entrissen. Curnonsky spickte seine Geschichten gerne mit eigenen Wortschöpfungen und schrieb oftmals im Dialekt "à la Rabelaise". Diesen Witz, diesen hintergründigen Humor könnte man gar nicht in Deutsch wiedergeben. 2010 habe ich dann ja seine Biographie für ein deutschsprachiges Publikum unter Inge Huber geschrieben.

Helga König: Wie soll es mit Ihrem Projekt weitergehen, beabsichtigen Sie sich nun wieder von dem Nachlass zu trennen un ihn beispielweise einem Museum zu überlassen oder auch zu verkaufen? 

 "CURNONSKY"
Inge Huber: Curnonsky gehört nach Frankreich und der Nachlass sollte, wenn möglich nicht auseinander gerissen werden. Ich habe noch nicht aufgegeben an eine späte Einsicht aus Frankreich zu glauben. Nachdem die Franzosen mit ihrer Gastronomie in die UNESCO aufgenommen wurden, seit Depardieu (nachdem er meine Bücher gelesen hatte) in der Match kundtat, dies sei Dank eines Curnonsky’s geschehen, seitdem Expräsident Sarkozy im Besitz der Bücher ist, hoffe ich noch immer, dass irgendwann einmal der Groschen fällt. Der Verkauf der Kollektion wäre meine letzte Lösung. Aber ich gestehe, dass derzeit eine Inventarliste entsteht, die erst einmal die Komplexität des gesamten Nachlasses zusammenfasst, inklusive seines literarisches Schaffens, der Pariser Theaterwelt und der Belle Époque. 

Helga König: Wie erklären Sie sich, dass Curnonsky in Frankreich im Hier und Jetzt so wenig Beachtung geschenkt wird. Sind das die posthumen Wehrmutstropfen für Gastro-Kritiker oder gar Kritiker generell?

 Cur Non... Bibendum?
Inge Huber: Im Juli 2013 besuchte mich in München Monsieur Thierry Gardinier, Besitzer des Sternerestaurants Taillevent aus Paris... Wir sprachen lange miteinander, er sah sich Einiges an, bekam meine Bücher und versprach, er werde nachdenken... kurze Zeit später gab es im Taillevent ein Menu : „Les Cinq de Curnonsky“ zum Preis von 1.200 € pro Person, „une expérience inoubliable pour vos sens! „– war zu lesen. Die Pariser Presse überschlug sich vor Begeisterung und Curnonsky war wieder einmal in aller Munde! Man schrieb und diskutierte daraufhin in vielen Glanz-Magazinen ob denn Curnonsky lieber Weißwein als Rotwein trank. Le Figaro schrieb: Tomber amoureux cinq fois en deux heures... plus große und rühmliche Worte auch über den Prinzen der Gastronomie! Nein, nein, das Curnonsky in Frankreich keine Beachtung fände, das sehe ich nicht so, Curnonsky wird unendlich oft von Gastrokritikern zitiert, wenn es gerade in „Eine Gute Küche ist wenn die Dinge nach dem schmecken was sie sind...“ Seine Geschichten werden erzählt, seine Rezepte gekocht. Jeder bedient sich Seiner für die eigene Storry. Kein französischer Journalist hat Lust sich Ärger mit dem Caoutchouc Giganten Michelin einzuhandeln oder sich um anderer Leute Bücher zu kümmern ... Sie arbeiten alle an der eigenen Karriere, ihren eigenen gastronomischen Höhenflüge. Trauriges Fazit: Der „Prinz der Gastronomen“ konnte sich keinen Alterssitz leisten. Am 22. Juli 1956 fanden sie ihn tot auf dem Trottoir vor seinem Haus. Er sei aus Altersschwäche aus dem Fenster des dritten Stocks gestürzt stand in den Zeitungen... Sein Grab befindet sich in Beauchamp nahe bei Paris, hier ruht der „Prinz“ vereint mit seiner Mätresse Germaine. Seine Hinterlassenschaft wartet aber noch immer auf einen geeigneten und würdigen Platz …

Liebe Frau Huber, ich danke Ihnen für das wirklich aufschlussreiche Interview.

Ihre Helga König

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